Begleittext zu den Nachschöpfungen aus der Biblioteca Apostolica Vaticana, 1980

Glas erfreut sich von altersher großer Beliebtheit. Nicht nur Horaz benutzt das Bild des Glases zum Vergleich, um den Bandusiaquell in seinem Glanz vor Augen zu führen (Carmina III 13,1), sondern auch die Apokalypse spricht gleichnishaft vom neuen Jerusalem als „der Stadt aus lauterem Gold, so rein wie Glas" (21,18) und „die Straßen der Stadt waren reines Gold, wie durchsichtiges Glas" (21,21). So verwundert es nicht, dass antikes Glas seit Bestehen eines Raritätenkabinetts in der Biblioteca Apostolica Vaticana nicht fehlt. Wenn auch im Laufe der Zeit die Kenntnis der Fundorte von den einzelnen Stücken zum großen Teil verloren gegangen ist, so weiß man doch noch von 6 (Seite 2, 3, 5, 7 und 9) dieser 16 hier im Katalog vereinten Gläser, dass sie aus Gräbern in den römischen Katakomben stammen. Es handelt sich also um Grabbeigaben, um Geschenke, die Toten mit ins Grab gegeben wurden. Es gab auch Zeiten, wie im 18. Jahrhundert, die annahmen, dass in den Glasgefäßen aus den Katakomben Märtyrerblut aufbewahrt worden sei. Drei Gläser (Seite 17, 18 und 21) kommen aus Pompeji, jener antiken Stadt Campaniens, die im Jahre 79 n.Chr. durch den Ausbruch des Vesuvs verschüttet und im 18. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Ferdinand II., der König beider Sizilien, machte sie Pius IX. zum Geschenk, als er 1849 die Ausgrabungen in Pompeji besuchte.

Ein Glas (Seite 22) diente als Reliquienbehälter in einem Altar der römischen Kirche S. Giorgio in Velabro. Beim christlichen Kult fand Glas sonst keine Verwendung, im 19. Jahrhundert wurden Altargeräte aus Glas sogar verboten.

Allen 16 hier zusammengestellten Gläsern ist gemeinsam, dass sie mit der Glasmacherpfeife geformt sind. Glasblasen ist eine Erfindung des 1. Jahrhunderts v.Chr. Vorher wurden Gläser in Formen gegossen, gepresst oder um einen Kern modelliert. Die Entdeckung des Glases geht weit ins 3. Jahrtausend v.Chr. zurück.

 

Plinius d.Ä., der eine Naturgeschichte schrieb und dessen Entdeckerlust ihn beim Vesuvausbruch von 79 n. Chr. das Leben kostete, berichtet darüber in Form einer Erzählung (36, 190-191): Kaufleute bereiteten an der Belusmündung in Syrien eine Mahlzeit und stellten ihre Kochkessel in Ermangelung von Steinen auf Sodastücke aus ihrer Schiffsladung; in der Glut des Holzfeuers habe sich Soda mit dem darunterliegenden Sand vermischt und Bäche mit einer neuen, durchsichtigen Flüssigkeit seien hervor- gekommen. So phantastisch diese Geschichte auch klingen mag, sie enthält Wahres; denn Glas wird im Schmelzprozess aus Kieselsäure und Alkali gewonnen. Kieselsäure (Silikat) ist in reinem Sand enthalten und Alkali steckt in dem aus Seepflanzen hergestellten Natron, dem Natriumkarbonat oder Soda, weiterhin in Pottasche, in ausgelaugter Holzasche.

 

Die Erfindung des Glasblasens schuf um Christi Geburt neue Möglichkeiten einer Massenfabrikation von kostbaren und billigen Gläsern. Seneca spricht in einem seiner Briefe (90,31), den er kurz vor seinem Tode im Jahre 65 n. Chr. schrieb, von dem wunderbaren Einfallsreichtum des Glasbläsers, „der mit seinem Atem das Glas in so zahlreiche Formen zu bringen vermag, wie es kaum eine kunstreiche Hand fertigbrächte". Diese Stelle ist auch insofern bemerkenswert, da sie der erste direkte Hinweis auf die Kunst des Glasblasens in der antiken Literatur ist. Der Glasbläser wird in dieser Zeit zwar noch als faber, als Handwerker, eingestuft.

 

Erst ein Erlass Konstantins räumt der Zunft der Glasbläser dieselben Rechte wie den Künstlern ein. Aus der römischen Kaiserzeit und der Spätantike stammen die meisten der hier vereinten Gläser. Die Auswahl beginnt mit drei pompejanischen Beispielen aus der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. (Seite 17, 18 und 21) und reicht mit der islamischen Ampel (Seite 2), die möglicherweise ein Pilger aus dem Heiligen Land als Andenken mitgebracht hat, und dem venezianischen Becher (Seite 22) über die Spätantike hinaus. Der Formschatz erstreckt sich über eine Vielzahl von Gefäßtypen. Mit Glas wird sozusagen in der Spätantike alles möglich. Ursprünglich nur bestimmten Werkstoffen eigene Formen werden nunmehr durch Glas entmaterialisiert. Glas wird für diese Epoche zum bevorzugten, ja zum kennzeichnenden Werkstoff. Wer entzieht sich dem einzigartigen Zauber der Glasgefäße mit ihren schönen Formen, der Mannigfaltigkeit der Farben oder Regenbogenpracht der in der Erde gewachsenen Irisation? Der Traum von der Unzerbrechlichkeit des Glases hat die Phantasie der Menschen seit jener Zeit immer wieder beschaftigt. Petronius, der Hofmarschall des Kaisers Nero, erzählt als erster die sagenhafte Geschichte von dem Erfinder des unzerbrechlichen Glases, der dem Kaiser vorgeführt wird, seinen Becher fallen läßt und das zerbeulte Gefäß mit seinem Hammer wieder zurecht klopft. Nachdem der Kaiser sich versichert hatte, daß außer ihm keiner solches Glas zu machen verstehe, lässt er ihm den Kopf abschlagen aus Furcht, dass sein Gold wertlos werde, wenn das Geheimnis dieses Glases bekannt würde. Ähnliche Geschichten berichten Plinius (nat. hist. 36,195), Cassius Dio (57,21,7) und Isidor von Sevilla (Origines 16,16,6); und sie soll im Frank- reich des 17. Jahrhunderts noch erzählt worden sein, allerdings mit der Variante, dass den Platz des Kaisers der Kardinal Richelieu einnahm.

 

Da nun die zerbrechlichen antiken Glasgefäße an geschütztem Ort erhalten bleiben, ihre Schönheit aber greifbar und zugänglich gemacht werden soll, wurden diese in ihrer Art ebenfalls einmaligen Nachbildungen durch die CCAA GLASGALERIE KÖLN GMBH geschaffen. Der Besitz der einzelnen Stücke möge so in weiten Kreisen das Interesse für das wunderbare Gebiet der antiken Glaskunst wecken.

 

Dr. Georg Daltrop

Direktor der antiken Sammlungen

der Vatikanischen Museen